Press release

Mit Abschluss des allerersten Verfahrens gegen syrische Kriegsverbrecher hoffen ehemalige Folteropfer auf Gerechtigkeit

Date
December 15, 2021
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Koblenz - Heute hörte ein Gericht in Koblenz, Deutschland, die Schlussplädoyers mehrerer Nebenkläger und ihrer Rechtsvertreter im Prozess gegen Anwar R., einem ehemaligen syrischen Beamten, der Folter und die Erzwingung des spurlosen Verschwindens von Menschen in der berüchtigten, staatlichen Haftanstalt Al-Khatib, auch bekannt als Abteilung 251, beaufsichtigt hat. Die Justice Initiative vertrat zahlreiche Opfer, die in dem Prozess als Zeugen auftraten.

Obgleich die Justice Initiative den historischen und beispiellosen Charakter dieses Prozesses anerkennt, weist sie dennoch auf zahlreiche verbesserungsbedürftige Bereiche hin. So hatten syrische Beobachter bei der Gerichtsverhandlung mit zahlreichen Verständnisproblemen zu kämpfen.

„Bei der Aufarbeitung internationaler Verbrechen sollte der Kontakt zu den betroffenen Bevölkerungsgruppen ein Kernelement der Rechtspflege sein“, sagte E. Witte, Senior Policy Officer bei der Open Society Justice Initiative. „Das schließt ein, dass im Ausland akkreditierte Journalisten von Verfahrensbeginn an Zugang zu Übersetzungen erhalten und dass sich die Gerichte bemühen - z. B. anhand ihrer Pressesprecher -, grundlegende Konzepte der Gerichtsbarkeit, des Zeugenschutzes oder der Rechte des Angeklagten zu erläutern, idealerweise in der Sprache des Landes, in dem die Straftaten begangen wurden.“

Eine weitere große Herausforderung des Gerichts, stellte die wiederholte Problematik dar, schutzbedürftige Zeugen vorzuladen, die außerhalb Deutschlands lebten oder deren Familienangehörige noch in Syrien lebten oder leben und von Repressalien durch das syrische Regime bedroht waren. Weder die deutsche Strafprozessordnung noch das Gerichtsverfassungsgesetz bieten in solchen Situationen angemessene Schutzvorkehrungen. Darüber hinaus fehlte es dem Gericht an praktischer Erfahrung im Umgang mit solchen Fällen. Nicht alle Zeugen wurden vor ihrer Vernehmung angemessen über die damit verbundenen Risiken und ihre Rechte aufgeklärt - ein weiterer verbesserungswürdiger Bereich bei künftigen Verfahren dieser Art.

„Zahlreiche Zeugen fürchteten verständlicherweise um ihre Sicherheit oder die ihrer Angehörigen und weigerten sich, vor Gericht auszusagen oder überhaupt zu erscheinen“, erklärte Anna Oehmichen, die deutsche Rechtsanwältin, die die Mandanten der Justice Initiative im Prozess vertrat. „Inwieweit die Einschüchterung von Zeugen oder auch nur die Angst vor einer solchen Einschüchterung die Aussagen der vernommenen Zeugen tatsächlich beeinflusst hat und welche weiteren Erkenntnisse hätten gewonnen werden können, wenn es stärkere Schutzmaßnahmen gegeben hätte, werden wir niemals erfahren.“

Frau Dr. Oehmichen fasste die Aussagen von vier Opfern, die als Zeugen aussagten, einschließlich zweier Ärzte, zusammen. Sie alle haben ausgesagt, dass sie inhaftiert und verschleppt wurden, nachdem sie sich an Antiregierungsprotesten beteiligt hatten oder verdächtigt wurden, an solchen Protesten teilgenommen zu haben. Alle von ihnen schilderten, wie sie während der Zeit, in welcher der Angeklagte die Einrichtung leitete, in trostlosen, überfüllten Zellen der Abteilung 251 inhaftiert waren. Sie beschrieben die erlittenen Schläge und andere Formen der Folter, die ständigen Schreie anderer gefolterter Gefangener sowie die psychischen Folgen, an denen sie immer noch zu leiden haben. Einer der vier Zeugen gab auch eine Schlusserklärung ab. Er erinnerte die Richter nicht nur daran, was ihm in der Abteilung 251 widerfahren ist, sondern sprach auch über die Bedeutung dieses Prozesses für das syrische Volk und seine Hoffnung auf ein zukünftiges Syrien, in dem solche Missstände undenkbar sind.

„Dieses Verfahren war ein wichtiger Schritt zur Aufklärung der von der syrischen Regierung begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, merkte Frau Dr. Oehmichen an. „Aber in diesem Prozess ging es um so viel mehr. In unserem Schlussplädoyer erinnerte ich an die vielen Akte der Menschlichkeit, der Solidarität und der Heldenhaftigkeit von Zeugen, die an diesem Prozess teilgenommen haben. Viele von ihnen waren Aktivisten, die nur deshalb inhaftiert und gefoltert wurden, weil sie auf die Straße gegangen waren, um friedlich für Freiheit zu demonstrieren. Dieses Verfahren hätte ohne ihren Mut nicht stattfinden können.“

„Deutschland hat eine Vorreiterrolle bei der Anwendung des Weltrechtsprinzips bei internationalen Verbrechen, und dieser Prozess legt den Grundstein für viele zukünftige Gerichtsverfahren. Das Oberlandesgericht Koblenz sieht sich bei der Strafverfolgung von Anwar R. mit Herausforderungen konfrontiert, die sich in künftigen Verfahren dieser Art stellen werden", fügte Eric Witte hinzu. „Um die internationale Justiz durch deutsche und andere nationale Gerichte voranzubringen, müssen wir alle so viel wie möglich aus diesem Gerichtsverfahren lernen.“

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